Nach dem Böhmermann-Video ist das Fynn-Kliemann-Imperium zusammengebrochen. Das Kliemannsland ist eines der betroffenen Projekte, und die Leute dort haben sich vor Kurzem mit einem Video zu Wort gemeldet. Ich habe mich über dieses Video geärgert, habe aber nicht das gleiche Problem wie die meisten in den Kommentaren. Denn ich habe vielleicht eine etwas andere Sichtweise auf Fynn Kliemann und dessen Erbe.
Die Historie der ganzen Entwicklung habe ich Euch hier in Form von Videos zusammengestellt — falls jemand noch nicht alle Videos gesehen hat oder noch so gar nicht weiß, worum es geht:
Ausgangssituation
Zuerst möchte ich einmal klarstellen, dass auch ich den Maskenskandal und alle damit aufgedeckten Whatsapp-Konversationen für verwerflich halte. Gerade jemand, der in Sachen Image seine Fairness und Gerechtigkeit herauskehrt, dem sollten PNs wie 'Krise kann auch geil sein' nicht passieren. Keine Frage.
Es geht in diesem Artikel allerdings nicht primär um Fynn, sondern vor allem um das Kliemannsland, bzw. um die Leute dahinter. Dass diese mit Fynn eng verbunden sind, ist ein Fokus dieses Textes. Es geht also irgendwie doch um Fynn. Oder — besser gesagt — um die Verbindung Fynn & Kliemannsland.
Was mich ärgert
Als ich das Distanzier-Video angesehen habe, bin ich von der ersten Sekunde an schon verstimmt gewesen - ich wusste nur nicht so recht, warum. Immerhin schienen die Leute im Video ja echt coole Menschen zu sein, Freigeister, Kreative und Macher, die mir doch eigentlich sehr nahe stehen. Doch je länger ich mir das Video angesehen habe, desto verärgerter wurde ich, und es hat ein wenig gedauert, bis ich verstand, warum.
Die Hauptkritik der Kommentare unter dem Video ist die fehlende Distanzierung von den Vorwürfen, die gegen Fynn erhoben werden, bzw. die angekündigte, aber dann nicht konsequent durchgezogene Distanzierung. Kurzer Spoiler: ich teile diese Kritik nicht.
Was mich verärgert, ist gar nicht so einfach zu erklären. Das Video ist im Endeffekt ein Hilferuf, ein Mut-mach-Video der Leute, die im Kliemannsland gelebt haben und das auch immer noch tun. Denn dieser Traum Kliemannsland, dieses Paradies für Freidenker und Kreative, droht dank dem Skandal auseinanderzubrechen. Sponsoren springen ab. Geldgeber drehen den Hahn zu. Und die Menschen im Kliemannsland, die sagen, dass dieser alte Bauernhof so viel mehr ist als 'nur' Fynn, sind verzweifelt. Denn sie alle haben doch nichts mit dem Skandal von Fynn zu tun. Auch Rezo spricht davon, dass dieses Desaster die Leute dort unschuldig trifft.
Die meisten Zuschauer ärgert, dass sich diese Menschen im Kliemannsland nicht genug von Fynn distanzieren. Mir geht es vollkommen anders. Mich ärgert, dass sie sich überhaupt von Fynn distanzieren. Deshalb war ich auch von der ersten Sekunde an schon verstimmt (der erste Satz im Video ist: "Wir, das Kliemannsland, haben uns von Fynn distanziert.").
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Für diejenigen, die meinen, es ginge hier um Loyalität: nein, darum geht es mir nicht (auch wenn ich gaube, dass Loyalität durchaus etwas Gutes ist!). Es geht mir um eine realistische und aufrichtige Einschätzung der Situation — inklusive des Anerkennens der Rolle von Fynn in dem Ganzen. Und ja, ich weiß, dass das sehr provokant klingt. Ist es aber gar nicht. Zumindest nicht gewollt.
Jan Böhmermann über Fynn Kliemann
Natürlich verurteile ich die Art und Weise, wie Fynn vorgegangen ist, und würde es selbst nie tun. Hoffentlich. Denn all diese Leute, die jetzt so laut Zeter und Mordio schreien, sind vielleicht gerade nur auf der falschen Seite des Glücks. Ich bin jetzt schon über 20 Jahre im Business und wenn ich in der Vergangenheit erlebt habe, dass sich für einen Menschen — und sei er noch so ideologisch gefestigt — die Chance geboten hat, schnell viel Geld zu verdienen, dann wurden meist Mittel und Wege gefunden, das Wahrnehmen dieser Chance vor sich und der Welt zu rechtfertigen. Oder es wurde eben überhaupt nicht darüber nachgedacht.
Geld bedeutet Freiheit. Wer glaubt, bei großen Geldsummen standhaft zu bleiben, der hat noch nie tatsächlich eine große Geldsumme angeboten bekommen. Jeder hat sich schonmal unter Freunden die Frage gestellt: Für 100 Millionen, würdest du jemanden umbringen? Für wieviel würdest du dich verkaufen? Es gibt ganze Filme, die nur auf dieser Prämisse aufbauen.
In der Realität sind diese Fragen natürlich nicht so extrem, sondern viel subtiler. Ein Maskendeal, bei dem wir 200.000€ verdienen können? Und theoretisch dabei sogar etwas Gutes tun? Hm...
Vision vs Realität
Ich habe mein Leben lang dafür gekämpft, meine Vision von kreativem Schaffen umzusetzen. Das war hart. Und ist immer noch hart. Viele Rückschläge, viele Frustrationen. Ich wäre allein mit meiner 'Kunst' nicht über die Runden gekommen; ich musste andere Jobs annehmen, inklusive solcher, auf die ich keinen Bock hatte, mit denen ich mich nicht identifizieren konnte. Ich habe Geld verdient, um mir ein Stück Freiheit leisten zu können, mich für eine gewisse Zeit freizukaufen, um an eigenen Projekten zu arbeiten.
Fynn Kliemann hat es geschafft, diesen Traum zu realisieren. In dem Rant-Video spricht er von zehn Jahren, die er daran gearbeitet hat, seine Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Zum Glück für die Menschen im Kliemannsland umfasste die Vision auch andere Leute; er ist — im Gegensatz zu mir — kein Eigenbrötler, der alleine im Studio herumfuhrwerkt, sondern er hat andere Leute mit auf die Reise genommen.
der Preis eines Paradieses
Und das ist es, was mich an dem Distanzier-Video ärgert: Die Leute im Kliemannsland realisieren nicht, dass ein solches Paradies einen Preis hat. Es ist ein Umstand, den ich immer wieder beobachten konnte — auch in einem vergleichsweise kleinen Projekt wie Alendia. Menschen begeistern sich für ein Projekt und vereinnahmen es, verstehen aber nicht, was es bedarf, um so etwas aus dem Boden zu stampfen. Um bei dem Beispiel Alendia zu bleiben: Leute verstehen, dass das Einsprechen und Schneiden einer Folge Arbeit ist, aber vergessen vielleicht, dass zusätzlich ein Webseite erstellt, ein Forum eingerichtet werden muss, dass Folgen hochgeladen, beschriftet, in verschiedene Formate gebracht werden müssen, das Podcast-Listen erstellt, Synopsen geschrieben, Social-Media-Posts auf mehreren Platformen veröffentlicht werden müssen.
Das Kliemannsland existiert nicht ohne Fynn, denn er war es, der ein Image aufgebaut hat, Videos hochgeladen und seine Reichweite erarbeitet hat. Die Sponsoren und Geldgeber waren wegen ihm dort, nicht wegen Max und Anna (Platzhalternamen!), die gerne Sachen zusammenschweissen.
Das Core-Team des Kliemannsland distanziert sich.
Max und Anna sind eben Leute, die auf so ein Projekt aufspringen, und nicht in langer, mühseliger Arbeit die Grundlagen schaffen. Und mit Grundlagen meine ich nicht die Renovierungsarbeiten auf dem Hof oder die Orga vor Ort (was ja auch Arbeit ist), sondern ich meine das Schaffen einer Möglichkeit, dass solche Arbeiten überhaupt erst durchgeführt werden können.
Es ist ja nett, wenn in dem Video gesagt wird, dass man sich nur im Kliemannsland 'wirklich zu Hause gefühlt hat', und dass es jetzt doch schade wäre, wenn so etwas Einzigartiges zugrundegeht. Wer würde denn nicht gerne in einem Paradies leben, in dem er tun und lassen kann, was er will? Es ist das Fehlen einer realistischen Einschätzung der Situation, die mich ärgert, vielleicht weil ich selber so hart an einer Vision arbeite.
Das Kliemannsland wird als ein 'Abenteuerspielplatz' für Erwachsene beschrieben. Tolle Idee! Nur das trägt sich eben nicht. Workshops für Kinder, Parties und Motorradrennen am Wochenende finanzieren offensichtlich nicht all das Material, die Angestellten, Strom, Wasser, geschweige denn den Grund und Boden. Fynn mit seiner Marke war es, der über Sponsoren, YouTube, Werbung und Kooperationen das Ganze finanziert hat.
Im angepinnten Kommentar unter dem Video schreiben sie: "Das Kliemannsland ist nicht Fynn, er ist Teil davon." Falsch! Das Kliemannssland ist sehr wohl Fynn, und ihr seid Teil davon!
Die Leute im Kliemannsland haben — meines Erachtens — schon begriffen, dass das Kliemannsland etwas Einzigartiges ist, aber sie verstehen nicht, was das Einzigartige daran ist. Es sind nicht die kreativen Menschen, die Helfer und die freundlichen Unterstützer. Denn die können ausgetauscht werden (klingt hart, ist aber so!). Es ist Fynn Kliemann gewesen. Er ist der Einzige, der nicht ausgetauscht werden kann. Oder zumindest bedeutet es viel, viel Arbeit und Zeit, ihn zu ersetzen.
Das Tragische ist, dass das gesamte Kliemannsland-Video eventuell von Fynn selbst ins Leben gerufen wurde. Es trägt zumindest seine Handschrift. Und wenn man akzeptiert, dass er hier eine Vision — seine Vision — umgesetzt hat, dann kann man vielleicht nachvollziehen, dass er dieses Projekt mit allen Mitteln retten möchte, auch wenn das seinen eigenen Ausschluss bedeutet.
Fynn Kliemann rantet auf Instagram
Rechtfertigst Du etwa Fynn?
Nein, das tue ich nicht. Aber ich fühle mit Fynn, in gewisser Weise. Das Kliemannsland war eine Vision, ein Projekt, dass es unglaublich weit gebracht hat, viele zum Träumen animiert hat und einigen sogar mehrere Jahre einen Freiraum im wahrsten Sinne des Wortes geboten hat. Doch es existiert nicht mehr; es ist mit Bekanntwerden des ersten Skandals zerbrochen. Mehr noch, es MUSS zerbrechen, denn natürlich muss ein solcher Skandal auch eine Konsequenz nach sich ziehen. Fynn hat sich verrannt. Tragisch, aber so ist es.
An die Leute im Kliemannsland: Behaltet die guten Erinnerungen, aber erkennt an, dass eine solche Freiheit, wie Ihr sie dort erleben durftet, etwas kostet. Immer gekostet hat und immer kosten wird. Ihr habt nur nie den Preis dafür gezahlt. Versteht mich nicht falsch - ich will euren Beitrag nicht kleinreden. Jeder von Euch hat mit Sicherheit persönliche Opfer gebracht, gearbeitet, organisiert und mitgeholfen. Aber ihr seid die Mannschaft, die einen Zug wartet und dafür sorgt, dass er weiterrollt. Fynn war derjenige, der den Zug gekauft und auf die Gleise gestellt hat.
Und ich plädiere dafür, Fynn diese Leistung zuzugestehen. Wenn Ihr müsst, dann verurteilt ihn für seinen Moment der Gier — ich für meinen Teil muss gestehen, dass ich seine Fehltritte zum Teil nachvollziehen kann. Gleichzeitig möchte ich von mir behaupten, dass ich der Versuchung widerstanden hätte. Ich glaube jedoch nicht daran, dass Fynn eine durch und durch kalkulierende Profitmaschine war/ist.
Ich glaube vielmehr, dass ihm dasselbe widerfahren ist, was auch vielen anderen Influenzern, YouTubern und Promis widerfährt: er hat den Boden unter den Füßen verloren. Bei manchen resultiert das in sexuellen Eskapaden, in 'Geringverdiener'-Rants, in Steuerhinterziehung oder pietätlosen Verhalten. Bei Fynn resultierte es in verwerflichen Business-Deals und shady NFT-Versteigerungen.
Was haltet ihr von der ganzen Geschichte? Habt ihr andere Sichtweisen? Ich würde mich über einen Kommentar freuen!
Danke dafür und gerne mehr :)
Danke für Deine differenzierte Stellungnahme dazu.
Ich teile deine ansicht.
Herzliche Grüße
Momskey