
Mit der Veröffentlichung einer medial hervorragend aufgearbeiteten Untersuchung über Cum-Ex-Geschäfte von correctiv.org – den CumEx-Files – ist wieder einmal eine stille Vermutung bestätigt worden: Die Superreichen schröpfen weiter den normalen Bürger. Es ist nur noch ein bisschen schlimmer, als man es sich ausdenken kann.
die hässliche Wahrheit
Ich bin kein Finanz-Experte. Ich verstehe diese Cum-Ex und Cum-Cum-Geschäfte nur in groben Zügen. Ich würde mir nicht anmaßen, diese komplizierten Finanz-Strukturen hier erklären zu wollen. Und ich bin mir auch nicht sicher, inwiefern Euch, meiner Community, diese Nachrichten überhaupt interessieren. Aber ich finde, dass dieser Skandal einer der wichtigsten Skandale dieses Jahres sein könnte. Vergiss Maaßen. Vergiss Braunkohle. In Cum-Ex liegt die eigentliche, hässliche und bittere Wahrheit über den Untergang unserer Gesellschaft. Klingt etwas übertrieben? Vielleicht.
Was ist Cum-Ex?
Um diesen Artikel nachvollziehen zu können, bin ich nun doch gezwungen, wenigstens in groben Zügen zu erklären, was Cum-Ex ist. Hierbei erhebe ich natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern verweise auf die Box unter dem nächsten Absatz, in dem sehr sehenswerte Beiträge aus Web und TV zu finden sind.
Cum-Ex-Geschäfte basieren auf Steuerrückerstattung. Und zwar auf Dividenden (Gewinne) von Aktien. In bestimmten Ausnahmefällen können Steuern auf diese Aktiengewinne vom Staat zurückerstattet werden. Cum-Ex-Geschäfte schaffen es durch komplexe Transaktionen diese Ausnahmefälle zu provozieren und zu verschleiern, dass für eine bestimmte Dividende aber noch gar keine Steuern gezahlt wurden. Oder noch schlimmer: Dass schon eine "Rückerstattung" erfolgt ist (die dann nochmals "rückerstattet" wird). Wie es dazu kommen kann? Keine Ahnung! Augenscheinlich sind die Transaktionen so komplex, das sowohl Finanzbeamte als auch Journalisten Jahre benötigten, um sie zu entschlüsseln.
weitere Informationen zu Ex-Cum:
>> Offizielle Webpage von correctiv.org über den Skandal
Das ganze Ausmaß
Nach Recherchen der Journalisten bei correctiv.org haben diese Steuer-Geschäfte, die von Tradern und Banken für superreiche Investoren durchgeführt und als Investment-Pakete angeboten wurden, um die 31,8 Milliarden (!) Euro vom Etat des deutschen Staates abgezogen. Und nicht nur Deutschland ist davon betroffen, sondern auch andere EU-Länder wie Frankreich, Spanien, Dänemark. Das sind Beträge, die sind kaum vorstellbar. Zum Vergleich: Der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung beläuft sich zur Zeit auf 17,6 Milliarden Euro.
Ich rate sehr dazu, sich zumindest den halbstünden Beitrag von Panorama anzusehen, aber hier noch ein paar Highlights: Banken sind nicht nur Mitwisser dieser Transaktionen, sondern auch Mitverdiener. Vor allem die norddeutsche Warburg Bank unter Führung der Familie Olearis steht in der Kritik, bis zu 330 Millionen Euro an diesen Geschäften verdient zu haben. Es existieren auch Hinweise auf die Deutsche Bank, und wie so oft ist die Dunkelziffer wahrscheinlich noch viel höher.
Interessant wird es nun, wenn man erfährt, dass Cum-Ex schon 2007 zu einem Aufschrei in der Politik führte, und es sogar einen Gesetzesentwurf gab, um diese Art von Anlage abzuschaffen. Es wurde auch ein Gesetz verabschiedet – dummerweise wurde der Gesetzestext jedoch in Zusammenarbeit mit dem Bankenverband erstellt. Ausgerechnet! Dieser von Lobbyisten formulierte und ohne Änderungen übernommene Text beinhaltete eine kleine geheime Gesetzeslücke, die in den nächsten Jahren zu einem regelrechten Rausch unter Cum-Ex Anlegern führte.
Was sagt das über uns aus?
Nun ist es einfach, sofort die Banken an den Pranger zu stellen, sich als betrogen und als Opfer zu sehen und wütend die Höchsttrafe zu fordern. Ich finde jedoch, dieser Skandal offenbart auch etwas über die Betroffenen, die normalen Steuerzahler, über den Menschen an sich und über seine Beziehung zum Geld.
Reichtum ist in unserer Gesellschaft anerkannt. Ein Ideal, dem fast jeder unterliegt. Es ist einfach zu sagen, dass man solche Geschäfte für unmoralisch und verwerflich hält, wenn man selbst keine Chance hat, mehrere Millionen im Jahr zu verdienen. Die Wahrheit ist nämlich, dass fast jeder in unserer Gesellschaft dem Geld huldigt. Das wird offensichtlich, wenn man sich ansieht, wie gut Unterhaltungssendungen wie Höhle der Löwen (Shark Tank in Amerika, Dragons Den in Australien) funktionieren, in der Investments mit schwindelerregenden Summen im Akkord durchgepeitscht werden. In D-Max Formaten wie Auction Hunters, Goldrausch in Alaska oder auch der ZDF-Sendung Bares für Rares geht es ultimativ um Geld und Reichtum.
Selbst bei Künstlern und Musikern geht es irgendwann nur noch darum, wieviele Alben verkauft wurden, und HipHop hat mit seinem Bling-Bling-Gebaren stark zu einer Glorifizierung von Reichtum beigetragen. Die Bitcoin-Welle war ein neuzeitlicher Goldrausch, aus dem neue Millionäre entstanden sind, die dann eine ganze Generation an weniger erfolgreichen Nachahmern hervorgerufen haben. Geld ist überall, nicht nur in Börsenunternehmen und Banken, sondern in der Pop-Kultur, im Entertainment und in der Kunst. Wenn man von einem allgegenwärtigen Gott sprechen kann, der nahezu omnipotent ist, dann ist es das Geld.
Für Geld ist der Mensch bereit, unaussprechliche Dinge zu tun. Gesetze zu verbiegen, um Waffen an Staaten zu liefern, die im Jemen Krieg führen (Große Koalition). Jahrelang Braunkohlekraftwerke betreiben, obwohl schon längst klar ist, dass diese Art der Energiegewinnung unser Klima zerstört (RWE). Gammelfleisch verkaufen. Daten von Krankenhäusern verschlüsseln und damit Geld erpressen. Ölplatformen unter unsicheren Bedingungen weiterlaufen lassen, bis sie explodieren. Und lügen, lügen, lügen.
Der Vorstand der Warburg-Bank behauptet bis heute, dass er sich niemals an Steuergeschäften bereichert habe. Carsten Maschmeier, seines Zeichens Gesicht der Höhle der Löwen-Sendung, in der er sich gerne als moralische Instanz aufspielt und Kandidaten mit Sätzen wie "Entweder sind sie völlig gedankenlos oder gierig, an der Grenze zur Unverschämtheit" zurechtweist, wurde auch zur gerichtlichen Aussage gebeten, da er nachweislich Gewinne mit Steuergeschäften eingestrichen hatte. Seine Aussage: "Ich konnte hoffentlich dazu beitragen, dass ein sehr komplexer Sachverhalt aufgeklärt werden kann, bei dem ich und andere Anleger um unser Geld betrogen wurden und konnte überzeugend darlegen, dass ich weder wissentlich in Cum-Ex-Deals investiert habe, noch irgendetwas von Cum-Ex oder Leerverkäufen wusste."
Was nun? Ich will trotzdem reich werden!
Was will ich nun mit diesem Artikel sagen? Das ist gar nicht so einfach. Ich bin selbst unfassbar wütend auf solche Menschen, die ohne echte Not eine ganze Nation um Geld bringen. Mit 31 Milliarden könnte man soviel Pflegepersonal, Lehrer und Forschung bezahlen. Man könnte Sozialeinrichtungen verbessern. Kindergärten und Kitas unterstützen. Ein Energienetz ausbauen, das keine Kohlekraftwerke mehr benötigt.
Aber auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass uns solch ein Skandal zurecht passiert - denn er ist hausgemacht. Unendliches Wachstum. Wirtschaftliche Dominanz. Export-Weltmeister. Man muss sich nur ansehen, was manche Politiker in Talk-Sendungen von sich geben, um die Macht von Geld und das Vertrauen der Deutschen in Geld zu verstehen. Ich nehme mich davon auch nicht aus.
Auch ich wäre gern reich.
Das Absurde ist doch, dass ich für jemand anderen ja schon reich bin. Diese Kette zieht sich immer weiter nach oben. Solange wir reiche Menschen bewundern und ehrfürchtig alle Kritik einstellen, weil wir potentiell an etwas verdienen können, wird es solche Auswüchse wie Cum-Ex auch geben. Und wer frei von Schuld ist, der werfe den ersten Stein! Wenn Du glaubst, moralisch vollkommen einwandfrei durch die Arbeitswelt zu gehen, dann stell Dir vor, die Möglichkeit auf ein Treffen mit Carsten Maschmeyer zu bekommen, der gewillt wäre, 200.000 Euro in Deine Geschäftsidee zu investieren und Dir damit alle Sorgen zu nehmen.
Würdest Du ihn nach der Begrüßung direkt auf Cum-Ex ansprechen und kritisch nachfragen?
Ich bin auch mal gespannt was da jetzt noch so passieren wird und freu mich schon auf so ein paar Statements von Mitwirkenden und wie sie sich versucehn wollen da heraus zu reden.
Gruß geht raus :)
Geld zu haben oder generell etwas zu besitzen ist ein starker Instinkt. Besitz bringt scheinbare Sicherheit. Den zu überwinden und an die gesamte Gesellschaft, statt nur an sich selbst zu denken ist schwer, aber etwas, was wir alle lernen sollten.
Andererseits muss man in diesem Kontext natürlich die Frage stellen, wieviel ist dann "akzeptabel" - und das ist natürlich immer subjektiv. Ich finde, wir sollten uns als Gesellschaft einmal überlegen, wieviel Geld ein Einzelner benötigt, und ab wann es absurd wird.
Mir selbst ist Geld nicht so wichtig, solange es zum Leben und Urlaub reicht :P
Bei mir hört es auf wenn man Geld über die Moral stellt und Geld zur Sucht wird.
Diese Cum-Ex Geschichte zeigt mal wieder überdeutlich auf, dass unsere Politik extrem im Eimer und durchtränkt mit Lobbyisten ist (VW-Skandal, Cum-Ex, Glyphosat, ...)
Ich sehe das Problem tatsächlich hauptsächlich bei der Politik die gefühlt die Banken immer noch machen lassen was sie wollen.
Aber im Ernst: Ich finde auch gerade die Vermischung von Politik und Lobby sehr problematisch. Wenn man dafür eine wirkungsvolle Lösung finden würde, könnte das viele Probleme in Luft auflösen...
(Ich hoffe es ist ok, dass ich hier nen Link zu dem Video poste, da es dann einfacher zu finden ist, wenn das uncool ist, kann der Komentar auch gern wieder gelöscht werden :)) Link zum Video: https://www.facebook.com/offenundkritisch/videos/528996707512711/
Mich wundert es trotzdem, dass so wenig Aufschrei erfolgt, trotz aller Punkte, die ich angebracht habe, die solch ein Desinteresse erklären könnte. Immerhin regt man sich auch über eine Rolex einer Politikerin auf. Warum dort und nicht bei CumEx? Das geht einfach nicht in meinen Kopf!
Die Rolex ist eine einzige Sache, offensichtlich zur Schau gestellt, von einer einzigen Personen. Wenn man genau weiss, über was man sich aufzuregen hat, und es viele gegen einen sind, ist das kein grosses Problem. Dafür haben die Menschen Zeit und Geduld. Sobald es aber um grössere Probleme handelt, die zu kompliziert sind, um innerhalb von fünf Minuten über alles im Bilde zu sein, schrecken viele zurück. Ich denke, das ist auch teilweise eine Sache des Selbstvertrauens...
Wenn ich informiert bin, stelle ich mich lieber einer Diskussion, als wenn ich Gefahr laufe, mit wenigen Sätzen mundtot gemacht zu werden.