Youtube und Twitch werden als offene Platformen für eine selbstbestimmte und kreative Arbeit angesehen. So ganz stimmt das allerdings nicht – ich habe einen langen, anstrengenden Weg zurückgelegt, bei dem ich feststellen musste, dass ich für mein kreatives Schaffen eine Alternative brauche.
Ein kurzes Wort vorweg: Dieser Artikel beschreibt meinen sehr persönlichen Weg. Manche werden sich vielleicht in den Erfahrungen und Erkenntnissen wiederfinden, andere wohl möglich weniger oder auch gar nicht – die Zielsetzung ist nunmal bei jedem Menschen anders. Nehmt diesen Artikel also als subjektiven Erfahrungsbericht!
kreativ & getrieben
Ich schreibe aus der Sicht eines Getriebenen. Immer wenn ich etwas sehe, das mir gefällt, habe ich das Verlangen, es selbst zu machen. Das betrifft kreative Dinge wie Bilder, Musik, Hörspiele, Bücher oder Filme, kann aber auch Webseiten, Games, ja sogar handwerkliche Dinge wie Hausbau oder Gärtnerei betreffen.
Dieser Trieb, etwas zu erschaffen, brachte mich 2001 dazu, auf der Kunsthochschule zu studieren und einen Weg als Regisseur und Animator einzuschlagen. Kurz nach dem Studium habe ich an mehreren Drehbüchern gearbeitet, mal zusammen mit Produktionsfirmen, mal alleine. Tatsächlich war das oftmals ein frustrierender Prozess, der oft nach dem gleichen Schema ablief, das einige von euch bestimmt kennen: Als Kreativer beginnt man zu arbeiten, schafft es, eine gewisse Aufmerksamkeit zu erreichen, wird Leuten vorgestellt. Man beginnt zusammenzuarbeiten, und es scheint so, als ob das Projekt auf einem guten Weg ist.
Und dann kommt die Wand ||| Irgendein Hindernis, das jegliches Weiterkommen verhindert. Ein Redakteur, der nicht an das Drehbuch glaubt; eine Personalveränderung; Mitarbeiter werden abgeworben, oder richten sich komplett neu aus; ein Verlag geht pleite – Es gibt viele Arten dieser 'Wände'. Oftmals ist so etwas mit langen Wartezeiten verbunden, schmerzlichen Wochen, Monaten, in denen man eigentlich weiterarbeiten will, aber nicht kann. Ich habe diese Kette der Frustration immer wieder erlebt. Mit meinem ersten Drehbuch. Mit meinem zweiten Drehbuch. Mit einem Point & Click - Adventure. Mit unzähligen Konzepten. Mit dem dritten Drehbuch.
Der Sturm: YouTube und Twitch
Dann kam die Zeit des Sturms: YouTube und Twitch mit ihren Verheißungen: Reichtum und Reichweite! YouTube selbst zelebriert ihre erfolgreichsten Influencer in elitären Meet & Greets, in Awardshows oder Rewind-Videos, in denen wiederum ebendiese Verheißungen inszeniert werden. Oftmals funktionieren Twitch und YouTube gerade deswegen, weil der Influencer ein erstrebenswertes Ideal darstellt – als Zuschauer sieht man einem Menschen zu, in dessen Position man selber gerne wäre, dessen Reichtum, Coolness, Ansehen, Freunde man auch gern hätte.
Ein eher ungünstiges Foto von mir während eines Vortrags auf der Münchner Interaktiv-Fachtagung.
Plötzlich hatte ich eine eigene Community und war nicht mehr angewiesen auf Produktionsfirmen, auf Förderung und Sponsoren. Social Media schien eine echte Alternative zu sein. Mit einer eigenen Reichweite kamen Kooperationen zustande, für die man vorher hart kämpfen musste. Ich wurde eingeladen, Vorträge zu halten! Menschen wollten mit mir zusammenzuarbeiten. Mit einer Marke und einem ausreichend großem Publikum können Projekte umgesetzt werden, die ansonsten einen Geldgeber, einen Publisher, einen Verlag oder Ähnliches benötigen. Follower sind privates Crowdfunding.
Doch wer glaubt, in den sozialen Medien unabhängig zu sein, der irrt. Man ist zwar nicht mehr von Redakteuren oder Verlagen abhängig, aber dafür von Algorithmen und der Willkür der Betreiber. Es fängt leise an, wird im Laufe der Zeit immer lauter, bis schließlich ein konstanter Sturm um einen herum tobt. Es werden einem ständig Zahlen um die Ohren geworfen: Welcher Post war wie erfolgreich, zu welcher Uhrzeit sollte man am besten streamen, bei welchem Kommentar lohnt sich eine Beantwortung. Wer mitspielt und in den Bereichen Länge, Themenwahl, Ausdrucksweise, Posting-Zeit, Kommentarbearbeitung und Werbeeinblendung dem Willen der Platform entspricht, wird gepusht.
Vom Regen in die Traufe
Je länger ich auf YouTube und Twitch für meine Community unterwegs war, desto mehr hatte ich das Gefühl, mich von meiner eigentlichen kreativen Arbeit zu entfernen. Zu häufig wurden bestimmte Entscheidungen abgestraft. Zum Beispiel bin ich kein Freund der Werbeeinblendungen, weshalb ich manchmal die Marketingoptionen ausgestellt oder nur einen Overlay zugelassen habe. Mir war das Geld nicht so wichtig, sondern die Views. Ich wollte meine Community mit meinem Video erreichen.
Mit dem stattlichen Ritter Blidemann bei einem Treffen auf der RPC.
Nur sieht YouTube das anders. Wer keine Werbung schaltet, wird nicht empfohlen. So habe ich teilweise in meiner Serie 'unnawegs' extrem unterschiedliche Viewzahlen bei den Videos. Grund dafür sind bestimmt nicht alleine meine Experimente mit den Werbeeinstellungen, aber sie fließen in ein Gesamtbild mit ein, das mich zum Nachdenken gebracht hat: Wie abhängig bin ich eigentlich auf einer vermeidlich offenen Platform wie YouTube.
In meinem Bekanntenkreis unter den Influencern habe ich recht schnell gemerkt, wie stark diese Menschen von ihrer Platform abhängen. Jede kleine Taktik, jede Strategie, um gegen einen – sich immer ändernden – Algorithmus zu bestehen wurde wie in einer Art Selbsthilfegruppe herumgereicht: "Mach Videos, die länger als 10 Minuten sind, wegen der Watchtime." – "Aber schneiden, idealerweise die besten Clips an den Anfang stellen, damit die Leute nicht wegschalten." – "Unbedingt mit anderen, reichweitenstarken Influencern zusammen aufnehmen, um Viewer zu diversifizieren." – "Jetzt sind sogenannte Donation-Videos voll angesagt, wo große YouTuber kleine Streamer mit übertriebenen Donations überraschen." Und so weiter und so weiter.
Beim Ausspannen kan man auch mal unsinnige Fotos in little Planet-Manier machen. Und dann auf Twitter posten.
Die Ruhe
Irgendwann habe ich bemerkt, dass mich all diese kleinen Forderungen von meiner eigentlichen kreativen Arbeit abhalten. Zudem hat mich dieses ständige Vorhalten der (Miss-)Erfolgszahlen zwangsweise in meinen Entscheidungen beeinflusst. Wer sagt, er würde die Zahlen nicht beachten, lügt meiner Meinung nach. Jeder noch so kleine Streamer, jeder noch so kleine Channel wünscht sich insgeheim, zu wachsen. Und das eigentliche Problem dabei ist: wer den Vorgaben von YouTube entsprechen will, muss eine gewisse Mindestanzahl von Videos veröffentlichen, die (mit qualitativ hochwertigen Videos) schon kaum als Hobby zu bewältigen ist (ein Grund für die Masse an Gaming-Videos, denn sie sind nunmal furchtbar einfach produzierter Inhalt).
Ein Projekt wie Alendia wirkt da wie ein Anachronismus. Je mehr ich mich mit Alendia beschäftige, desto länger brauche ich für eine neue Folge. Denn mit jeder Episode lerne ich etwas mehr hinzu und werde es bei der nächsten Folge zusätzlich beachten. Storytelling, Sprachtechnik, Komposition, Mastering, Programmierung - all diese Elemente erfordern mit jedem neuen Werk ein wenig mehr Zeit, denn als Künstler habe ich mich willentlich weiterentwickelt und muss nun meinem eigenen gehobenen Anspruch genügen.
So viel Arbeit! Alendia wird mit jeder Folge schwerer :D
Insofern war die Abnabelung von den sozialen Medien für mich extrem wichtig, denn nur so kann ich mich auf die Arbeit so konzentrieren, wie ich es auch für sinnvoll erachte. Das hat jedoch klare Nachteile: Meine Kanäle, in denen ich kommuniziere, haben sich verändert, und sie sind kein Dauerfeuerwerk an Content. Ein Nachteil, mit dem ich leben muss – und der sich auch konkret auf das Projekt auswirkt. In Zeiten, in denen ich gerade keine neue Folge herausbringe, stocken die Verkäufe, ich gerate für einige Zeit in Vergessenheit.
Aber: ich habe den sozialen Medien noch nicht vollständig entsagt – ich nutze sie nur anders. Und vor allem seltener. Denn der unmittelbare Vorteil ist: Ich bin ruhiger geworden, ausgeglichener. Ich habe mehr Kraft und mehr Freude bei der Arbeit an diesen Projekten und kann mich besser darauf konzentrieren. Ich lerne ständig Neues, was mir immer wieder unheimlich Spaß macht.
Also: Ich bin noch da! Auch wenn man zwischendrin mal wenig von mir hört :D
Aber Du hast definitiv recht, dass es einen Mittelweg gibt - und ich arbeite gerade auch daran. Umstellungen sind auch immer von technischen Neuerungen begleitet, die ich erst durchführen muss :D
Bei mir waren es die Daily Drawings. Für ne Challenge wie dem Inktober oder sowas ist das ganz cool, aber es auf ein halbes Jahr zu ziehen wie ich es getan habe, eher nicht. Man sieht zwar Fortschritte, sowohl im Skill als auch bei den Followern, aber die Qualität hat bei mir irgendwann gelitten bis kurz vor den kreativen Burnout. Neben den Dailies war ja noch einiges anderes zu machen. Dieses Jahr gehe ich es auch ruhiger an, setze den Fokus auf die Idee, Qualität und Lernen. Die Followerzahl und Interaktionen leiden darunter, ja, aber die Leute die mein Zeug wirklich interessiert sind geblieben. Was Follower angeht... sind mir das dann doch die liebsten. Und wenn ich mir deine Community da anschaue, ist das auch bei dir der Fall ;)
Ich weiß auch gar nicht was ich groß hier überhaupt schreiben wollte und frag mich gerade, ob der Kommentar nicht Zeitverschwendung ist aber gut... xD
Was ich noch sagen wollte.. ich fühle mich sogar etwas ertappt, als du schriebst, dass es nicht stimmt, wenn Youtuber sagen, dass ihnen die Zahlen egal sind. Da dachte ich nämlich erst "Ich hab auch einen Kanal und mir ist es wurscht, sonst würde ich wohl auch nicht weiter machen, da ich eh nur einen Zuschauer hab gefühlt xD" Aber der Satz der danach kommt, dass sich insgeheim jeder wünscht mehr Leute zu erreichen... Da haste vollkommen recht. Ich meine gerade als kreativer will man ja, dass so viele Leute das erschaffene sehen wie möglich. Das Geld oder ein Wetteifern ist da scheiß egal. Aber man will ja dieses Feedback auch haben. Je mehr Leute man erreicht desto mehr Feedback kann man sammeln und je besser kann man werden oder vielleicht sogar neue Ideen bekommen.
Fand ich super interessant und vielen Dank für diesen kleinen Denkansatz^^
Das geht schon viel zu lang hier und im Prinzip steht da nix spannendes drin in diesem Kommentar aber zum Abschluss noch... Ich freue mich riesig für dich, wie es bei dir nun alles so gelaufen ist am Ende. Also dein Alendia Projekt, welches dich wirklich komplett zu erfüllen scheint. Das ist eine wirklich tolle Sache! Ich wünsche dir da weiterhin nur das Beste! Bin super froh, dass ich dich "wiederentdeckt" habe für mich, als ich die alten LPT Folgen mal wieder nacheinander durchschaute und mich die Frage beschlich, was der gute alte Sgt Rumpel heute so macht und zack! ... Alendia... voll geil! Super spannend, auch wegen dem selbstpublishing, wo ich gern auch mal wissen würde wie man das hinkriegt... Ich habe da selber auch mal nachgedacht, wüsste aber nicht mal wo ich da anfangen kann, sowas umzusetzen. Da muss ich mich mal schlau lesen. Aber super spannend alles. Dein Buch gefiel mir auch klasse und ich hoffe sehr, wenn Staffel 2 soweit fertig ist, dass zu Staffel 2 erneut ein schickes Büchlein kommen wird :)
Nun aber genug Zeit gestohlen... Sry für den Roman voller unbedeutender Dinge xD Ich wünsch dir weiterhin alles gute! Und immer bequem stehen! :)
Self Publishing ist inzwischen recht gut machbar! Habe dazu auch hier ein paar Artikel geschrieben. (auf Alendia klicken!).
Und in Bezug auf Deine eigenen Hörspiele: Interessant, dass Du da so "reingerutscht" bist. Tatsächlich ist es so, dass ich zwar auf der Kunsthochschule studiert habe, aber ebenfalls bei jedem neuen Projekt erstmal wieder neue Programme und Techniken erlernen muss - da ist es fast egal, woher man kommt :D
Ach wie cool. Da werde ich definitiv heut Abend reinlesen! Einige Leute meinten ja schon, dass ich zumindest eine meiner Kindergeschichten (die nur zufällig ne Kindergeschichte wurde xD) irgendwie zum Verlag oder sonst wie rausbringen sollte, weil es zu schade drum wär... Aber da ich selber mein größter Kritiker bin und alles was ich tue eh schlecht ist... (meinem Kopf nach) Aber loslassen tut es mich doch nie ganz und wie du schon sagtest... Irgendwie ist der Drang da es einfach dann selber zu machen :D
Ja da hast du wohl recht. Letzten Endes ist das Wichtigste eh immer die Erfahrung die man beim praktizieren sammelt. Ich glaube mit Studium ist es wohl nur einfach leichter zu wissen wie man da am Besten ran geht, weil das einem bestimmt erklärt wird oder man eben direkt nachfragen kann. Aber dank des Internets kann man heutzutage zumindest auch so leicht an Infos rankommen in der Hinsicht^^
Ich kann auch so nur empfehlen, wenns Leute gibt, die sich selber für Hörspiele zu interessieren, mal beim offenen Kanal vor Ort zu gucken. Ich weiß zwar nicht wie es da außerhalb Schleswig-Holstein aussieht aber- normal ist das super zum Erfahrungen sammeln :) Freu mich auch wieder auf die diesjährigen Adventskalenderhörspiele, wo ich am September wieder im Marathon schreiben werde :D (Letztes Jahr 20 in 3 Wochen xD Ich glaubs immer noch kaum... :D)
Ich finde immer, dass man erst nach einiger Zeit sehen kann, ob man künstlerisch die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Nämlich dann, wenn man auf seine Arbeit zurückblickt und sich auch nach einiger Zeit immer noch damit identifizieren kann. Das habe ich ganz stark bei YouTube gemerkt. unnawegs finde ich auch heute noch gut, die LPs - naja :D
Die vielen Videos ansehen, Posts und dazugehörige Kommentare lesen - all das kostet auch Zeit und, im Fall von Kommentarelesen, Energie.
Daher bin ich persönlich froh, wenn gar nicht so viel an einem Tag gepostet/hochgeladen wird. Dann komme ich mit dem Gucken hinterher und verliere mich nicht zu lange in Kommentaren, die mich in letzter Zeit meist eh nur aufregen.
Es ist doch so, dass viele der Nutzer im Internet zu viel Zeit mit Nichtigkeiten verbringen, weil dass Gefühl erzeugt wird, man MÜSSE sich diesen Beitrag oder jenes Video noch ansehen.
Zeit und Energie, die man für Sinnvolleres nutzen könnte, wenn man es sich selbst eingesteht.
Social Media hat verlockende Vorzüge. Seit frühester Kindheit künstlerisch tätig und mit demselben Schaffensdrang gesegnet, welchen du im ersten Absatz so treffend beschrieben hast, habe ich vor einigen Jahren Künstler-Accounts auf zwei verschiedenen Netzwerken angelegt, um diese Vorzüge zu erfahren und wurde relativ schnell mit den Nachteilen konfrontiert.
Ich bin eher zurückhaltender Natur und meine Kunst hatte mir immer geholfen, Kontakte zu knüpfen und in meinem privaten Umfeld als besonders eingestuft zu werden, ohne viele Worte gewechselt zu haben. Eine Zeichnung war immer der Anlass für ein nettes Gespräch. Und auch, wenn ich nicht gerne im Mittelpunkt stehe, tat es dennoch gut, diese positive Aufmerksamkeit und das Lob zu erfahren.
Plötzlich sind da millionen von Menschen, die mit wenigen Klicks fantastische Zeichnungen und Malereien präsentieren. Man fühlt sich nicht mehr speziell. Unscheinbar, das trifft es ganz gut. Und die eigene Kunst steht plötzlich im Schatten beeindruckenster Werke, die laut dem jeweiligen Künstler "mal eben in der Mittagspause gemalt" wurden. Ist man selbst dann auch noch sein grösster Kritiker, wird es immer schwieriger, am eigenen Schaffen noch irgendetwas Herausragendes zu finden.
Entweder ist dieser erste, überwältigende Eindruck schon abschreckend genug, oder man spielt das Spiel einfach mit. Zumindest versucht man es.
Mir wurde relativ schnell bewusst, dass Seiten wie DeviantArt zwar dabei helfen, Follower und Aufmerksamkeit zu generieren, aber Kunstwerke, für die teilweise viele Tage benötigt wurden, zu Fliessbandware mutieren. Auf bspw. DeviantArt habe ich vieles gesehen, das mich zutiefst beeindruckt hat, doch kann ich mich an nur wenige Werke erinnern. Von den Künstlernamen ist mir kein einziger im Kopf geblieben.
Wenn man selbst solche Werke erschafft und weiss, was das für Zeit in Anspruch nehmen kann, würdigt man das entsprechend. Aber für jemanden, der mit der Materie nicht vertraut ist, verliert das schnell an Wert. Wenn ein Zeichner dann auch noch vorsorglich über einen längeren Zeitraum produziert und dennoch alles als Arbeit eines einzigen Nachmittags verkauft, dann haste den Salat.
Nun gut, reflektiert habe ich das alles später, aber anfangs rutschte ich in die Fanart-Schiene. Doch auch da kam mir irgendwann das Grauen. Ich habe damals einige FanArtists gesehen, die mehr Follower generieren wollten, indem sie eines ihrer Werke an alle verlosten, die ihre Seite während eines bestimmten Zeitraumes geliked haben. Das heisst also, eine Menge User liken die Seite, weil sie eine Zeichnung des entsprechenden Promis/derFigur haben wollen. Nicht, weil sie den Zeichner toll finden.
Ich erhalte also eine Menge Likes und Follower, die nicht an mir oder meinen Fertigkeiten interessiert sind, sondern an der Person, die ich zeichne.
Wie behämmert ist das denn?
Ein Trend, dem ich damals nicht gefolgt bin und ab da ging es auch ziemlich schnell abwärts mit meinen Seiten. Ich habe sie einfach bewusst vernachlässigt und irgendwann gar nichts mehr gepostet.
Ich möchte auch nicht das zeichnen, was gerade die meisten Follower generiert, sondern warte ab, bis mir eine tolle Idee kommt, die vielleicht noch kein anderer hatte, und die es sich umzusetzen lohnt. Wenn ich von Arbeiten anderer inspiriert bin, setze ich das gerne für mich persönlich um. Bekanntwerden möchte ich jedoch mit etwas, das man dann mit mir als Künstler auch verbindet. Und wenn mir solch eine Idee erst mit 80 Jahren kommt, das ist mir egal.
Das schreibe ich jedoch als jemand, der das ganze als Hobby betreibt. Ich bin mir sicher, dass jemand, der von dem, was er kreiert, auch leben möchte, die gesamte Problematik anders sieht und sich dem ein oder anderen Trend eher unterwirft, als es bei mir der Fall ist. Dein Artikel hilft dabei, auch diese Seite der Medaille zu verstehen.
Im Privaten lohnt es sich ebenfalls, sein Verhalten in den sozialen Netzwerken zu reflektieren. So viele Menschen in meinem Bekanntenkreis klagen darüber, viel zu wenig Zeit für ihre Hobbies zu haben, lungern aber drei Stunden täglich auf Facebook und Twitter herum.
Wie viele wunderbare Momente hat man schon verpasst, weil man sich stattdessen gefragt hat, wie viele Likes das entsprechende Foto wohl bringen würde?
Oder macht Urlaub in einem bestimmten Land, nicht, weil es einen selbst interessiert, sondern, weil es den Followern gefallen könnte?
Dann die ganzen negativen Meldungen, Artikel und Kommentare, die mir der Facebook-Algorithmus mit besten Grüssen aus der Hölle hat zukommen lassen.
Das hat mich regelrecht krank gemacht, weil ich mit negativem Input in den Tag gestartet bin und mit negativem Input schlafen ging. Ich hatte keinen Antrieb, keine Inspiration mehr, irgendetwas zu kreieren. Irgendwann merkt man halt, dass man zur Abwechslung mal wieder versuchen sollte, sich selbst zufriedenzustellen als immer nur die anderen.
Anfang des Jahres habe ich diesem ganzen Zirkus dann entsagt und schaue nur ab und zu nochmal rein. Seitdem fühle ich mich so gut wie schon lange nicht mehr.
Einfach frei von diesem ganzen Zwang. Und ja, es ist ein Zwang, und sobald man das begriffen und sich selbst eingestanden hat, dass man da drinsteckt, ist der Weg heraus schon ein ganzes Stück leichter. :-)
Artikel wie deiner können Menschen helfen, zu realisieren, was Social Media mit ihnen macht, wenn sie sich den Algorithmen und ungeschriebenen Gesetzen der Netzwerke (unbewusst) unterwerfen.
Ich finde es gut, dass auch du für dich einen besseren Weg gefunden hast, mit den sozialen Medien umzugehen.
Und gerade, weil nun weniger Content von dir kommt, als es früher der Fall war, wird dieser Content von den "richtigen" Leuten viel höher geschätzt und auch die Freude darüber ist grösser. :-)
Wenn man dann beginnt, tatsächlich seine Freizeit und sein ganzes Leben auf die sozialen Medien auszurichten, ist das wirklich problematisch. Da gibt es schon bestimmte Leute, die sich extra ein Social-Media Gesicht operieren lassen, also ein Gesicht, das möglichst gut aus den typischen Kameraperspektiven für Selfies aussehen. Das ist schon krankhaft...
Bei mir und Dir ging es ja "nur" um die künstlerische Arbeit, aber - wie man sieht - kann das auch schon recht starken Einfluss haben. Umso wichtiger also, dass man für sich selbst seine Konsequenzen zieht :D
Und anstatt sich selbst gemütlich zuhause vor dem eigenen Spiegel zu betrachten, ist es, als ob man plötzlich mit zig anderen Personen davorsteht, und jeder versucht, sich von seiner besten Seite zu präsentieren und vermeintliche Problemzonen zu verbergen oder zu kaschieren. Und plötzlich sind es dann nicht mehr die eigenen Problemzonen, die man gerne ändern würde, man vergleicht sich mit den anderen gleich mit. Wenn der eigene Lebenslauf nicht mit der Erwartungshaltung der sogenannten Freunde konform geht, fühlt man den Stress, sich auch dort anpassen zu müssen.
Und ein Spiegel lügt nicht. Gnadenlos und ungeschönt wird er alles genau so zeigen, wie es ist. Automatisch dichtet man dann selbst hinzu, was man gerne hätte. Kein Wunder, dass J.K. Rowling das verlockende Konzept des Spiegels "Nerhegeb" erdacht hat. :-)
Hmm. Zum Social-Media-Traumgesicht fällt mir nur ein, dass man sich auch Selbstbewusstsein nicht mit Geld kaufen kann. Also gibt man das Geld wohl eher für ein neues Gesicht aus. XDD Definitiv krank, aber es wundert mich leider überhaupt nicht. :-(
Das gilt auch für diesen Artikel, durch den ich nun noch viel besser verstehe, weshalb du nicht mehr Twitch streamst.
Ich wünsche dir noch viel Erfolg bei deinem Schaffen und alles Gute! :)