Der Humbug mit der historischen Korrektheit
von Manuel Schmitt // 13.03.2019 18:36 // 12

Dinge, die zuverlässig die Emotionen der Gaming-Szene hochkochen lassen: EA zerstört eine Franchise, Gewaltverbrechen werden mit Videospielen in Verbindung gebracht und Feministen, die sich kritisch über die Darstellung der Frau in Computerspielen äußern. Im letzteren Fall werden teilweise unsinnige Argumentationen aufgefahren, um den Status Quo zu verteidigen.

B.R.U.N.F.T war ein wiederkehrendes Segment meines Live-Streams auf Twitch, in dem ich mir Beispiele aus dem Alltag angesehen habe, bei denen mir ein Ungleichgewicht der Geschlechter aufgefallen ist. B.R.U.N.F.T steht für Beweise für die Richtigkeit Und Notwendigkeit Feministischer Tätigkeit.

Das erste Mal, dass ich mich bewusst mit Feminismus auseinandergesetzt habe, war mit einem Video von Anita Sarkeesian, in dem sie die Inszenierung halbnackter Frauen als Level-Dekoration anprangerte. Ich konnte damals den wütenden Aufschrei in Teilen der Gaming-Szene nicht nachvollziehen – im Gegenteil, meiner Meinung nach machte Anita einen vollkommen validen Punkt. Ein Argument habe ich seitdem immer wieder von Gamern gehört, wenn es um die Darstellung von Frauen in Computerspielen geht: Es wäre nunmal historisch korrekt und entspräche der Realität, Frauen so darzustellen. Es sei ja ein Spiel das nun mal im Mittelalter/ in einem Bordell / in einer beliebigen, historisch misogynen Umgebung stattfindet – alles andere wäre unglaubwürdig. Zeit, dieses Argument ein für alle mal zu entkräftigen.

Was ist eigentlich historisch korrekt?

Nach dem Abitur war ich mir zunächst nicht sicher, in welche Richtung ich mich weiter bewegen wollte. Tatsächlich war Restauration einer meiner Berufswünsche, und so habe ich meinen Zivildienst in der archäologischen Aussenstelle Titz im LVR absolviert. In dieser Zeit habe ich viel über Archäologie gelernt und zusammen mit einigen Studenten auf dem Grabungsfeld gearbeitet. Einige dieser netten Menschen sind heute ausgebildete Archäologen und immer noch meine Freunde.

Ich Mann, Du Frau

Die Ausstellung "Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten?" beleuchtet Geschlechterstereotype in der Menschheitsgeschichte. Foto: Archäeologisches Museum Colombischlössle Freiburg

Von ihnen habe ich immer wieder erfahren, dass die Archäologie gerade dann am spannendsten ist, wenn neue Funde unser bisher angenommenes Bild der Vergangenheit verändern. Verbesserte Technologien können neue Erkenntnisse über alte Befunde bringen. Dies kann die immer wieder neu aufgestellten Rekorde der ältesten gefundenen Urmenschenknochen betreffen, als eben auch Gender-Stereotype, wie zum Beispiel der überraschend muskulöse Körperbau steinzeitlicher Frauen. Da in der Archäologie ethnische und soziale Interpretation eine Rolle spielt und diese Interpretation in der Vergangenheit überwiegend bis ausschließlich von Männern vorgenommen wurde, hat sich zum Beispiel der Verein FemArc gebildet, der sich vor allem mit Frauen- und Geschlechterforschung und feministischen Archäologie beschäftigt.

Geschichte ist also ständig im Wandel, selbst als hieb- und stichfest geglaubte Fakten können durch eine neue Beweislage plötzlich nur noch regional gültig sein oder ganz widerlegt werden. Die Geschichtsstudentin Aurelia hat auf geekgefluester.de einen äußerst lesenswerten Artikel über historische Korrektheit geschrieben. Zitat: "Klare Fakten oder einfach nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortbare Fragen werden immer seltener je weiter die Epoche zurück liegt, für die sich ein Autor oder Videospielentwickler vielleicht interessiert."

Assassins Creed Odyssey

In AC Odyssey wurde viel Wert auf authentische Modelle und Texturen gesetzt. Quelle: AC Odyssey @ artstation

Geschichte ist viel Interpretation. Die FAZ schreibt von begeisterten Archäologen und passionierten Antike-Fanatikern, die sich an dem hohen Detailgrad von AC Odyssey ergötzen und auf Twitter unter dem Hashtag #ACademicOdyssey miteinander kommunizieren. Dabei sind häufig Architektur, Geographie, Kleidung sowie Flora und Fauna gemeint, eher selten die zwischenmenschlichen Beziehungen von Mann und Frau. Ein in einem Computerspiel dargestelltes Rollenbild muss also nicht unbedingt historisch korrekt sein.

Alles eine Frage der Inszenierung

Nun haben wir etabliert, dass das, was wir als historisch korrekt annehmen, nicht unbedingt richtig sein muss. Wie sieht es aber mit Epochen aus, in denen wir Gewissheit haben? GTA V oder Hitman spielen in der Gegenwart – hier werden Frauen in realen Umgebungen gezeigt. Prostitution und Tabledancing gibt es tatsächlich, warum sie also nicht auch genau so darstellen, wenn man in GTA durch die City fährt oder in Hitman eine Mission in einem Bordell absolviert?

Und damit kommen wir zum eigentlichen Kern dieses Artikels. Ich will das anhand eines Beispieles festmachen, damit meine Argumentation nicht so abstrakt herüberkommt. Einer der erbittersten Gegner von Anita Sarkeesian ist der YouTuber Thunderf00t. In einem seiner Videos (>> Videolink mit Zeitabschnitt) kritisiert er ihre Kritik an dem Spiel WatchDogs, und zwar auf eine Mission bezogen, in welcher der Spieler einen Sex-Trafficking-Ring hochnimmt. Ich kenne die Szene gut, denn auch ich habe sie gespielt. Anita kritisiert hier die Opfer-Rolle der nackten Frauen, die voyeristisch auf einem Podium versteigert werden und lediglich als Level-Deko fungieren. Thunderf00t wiederum pocht auf die eigentliche Mission: man müsse ja den Sex-Trafficking-Ring hochnehmen, also bekämpfen, man ist ja der Good Guy. "How can you possibly portrait that as objectifying women?"

WatchDogs

WatchDogs inszeniert die Frauen hier als Dekoration. Dem Spieler wird genug Zeit gelassen, sich an dem Anblick zu laben.

Wie bei so vielen seiner Argumente, geht Thunderf00t nicht auf den eigentlichen Punkt von Anitas Kritik ein und zeigt dadurch, dass er die Problematik überhaupt nicht verstanden hat. Inszenierung ist hier das Stichwort. Als Regisseur und Drehbuchautor habe ich durch Inszenierung die Möglichkeit die gleiche Szene in vollkommen unterschiedlichem Licht erscheinen zu lassen. 'Dokumentarisch' gibt es im Zusammenhang mit einem Videospiel nicht, in dem der Spieler agieren kann und der Designer sich eine ganze Welt ausdenkt. Alles ist arrangiert, programmiert, inszeniert – als Spieler wird man geführt, manipuliert, vielleicht überrascht.

Am Anfang eines kreativen Prozesses steht ... nichts. Als Autor oder Gamedesigner ist man vollkommen frei zu tun und zu lassen, was man will. Wer also eine Mission über einen Sex-Trafficking-Ring in sein Spiel einbaut, hat mit dieser Entscheidung schon eine gewisse Richtung eingeschlagen – und zwar freiwillig! Wer sich dann entscheidet, dass der Spieler im Moment der Versteigerung möglichst nah an hübschen nackten Frauen vorbeischleichen muss, hat ebenfalls eine Entscheidung getroffen. Ebenso, wenn diese Frauen eben nicht später in der Mission einen eigenen Charakter bekommen, sondern nur in diesem Moment als Fleischbeschau inszeniert werden. Als Autor hätte ich diese Mission auch ganz anders ablaufen lassen können: Man hätte den Spieler durch die Räumlichkeiten schicken können, in denen die Frauen gefangengehalten werden. Man hätte die Panik und die Angst der Frauen inszenieren können (ohne sie nackt zu zeigen). Man hätte in einem kurzen Dialog einer oder mehrerer dieser Frauen eine Rolle geben können, was eine emotionale Tiefe hinzugefügt hätte.

Aber nein, man hat sich entschieden, den Spieler als 'selbstlosen' Helden durch die Versteigerungshalle zu schicken. Außer dem Offensichtlichen (Human Trafficking ist böse), wird durch die Inszenierung kein Kommentar abgegeben. Im Gegenteil, es wird alles dafür getan, dass der Spieler in dem Moment als er an den nackten Frauen vorbeigeht möglichst viel Zeit hat und kaum abgelenkt wird (nur ein Audio-Funkspruch wird abgespielt), die Körper zu betrachten.

GTA V

Prostitution wird in GTA als reine Unterhaltung inszeniert - die zugrundeliegende echte Problematik wird kaum angesprochen.

I call Bullshit!

Sei es die Blowjob-Möglichkeit in GTA, die diversen Rotlicht-Milieus in Computerspielen oder anders gearteter Fanservice – die meisten dieser Inszenierungen weisen mangelhaften bis verwerflichen Umgang mit diesen problematischen Thematiken auf. Kritik, die hier geäußert wird, ist durchaus berechtigt. Denn – um das noch einmal klar zu machen – es geht ja nicht darum, dass solche Milieus gar nicht vorkommen dürfen. Sie müssen lediglich intelligenter und unserer Zeit angepasster inszeniert werden. Das gilt für historische Szenarien genauso wie für welche, die in der Gegenwart spielen.

Und wer sagt, er will die "Wirklichkeit" erleben, und es sei ja nur ein Rollenspiel, wenn er als Macho durch die Reihen hilfloser, sexuell ausgebeuteter Frauen marschiert und mit den bösen Jungs aufräumt, dem sei gesagt: Mit "Wirklichkeit" hat das wenig zu tun! Denn Wirklichkeit wäre eben gerade eine schonungslose Darstellung der Schäden, die Prostitution, Human-Trafficking oder Unterdrückung hervorrufen. Das will bloß in einem Computerspiel keiner sehen. Das sind Informationen, die man auf Blogs wie diesem hier bekommt, die aber zu depri sind, um sie in einem seichten Game einzuflechten. Man will ja die hübschen Brüste auch irgendwie genießen können ...

Wer einfach nur unterhalten werden möchte, egal ob die Inhalte nun historisch korrekt oder moralisch fraglich erscheinen, der mag von einem dieser zwei Motivationen ausgehen: Entweder ihm/ihr ist es egal, was für Content er/sie konsumiert, dann sollte man aber die selbe Gleichgültigkeit an den Tag legen, wenn diese problematischen Inhalte kritisiert und eventuell entfernt werden. Oder aber er/sie verteidigt diese Inhalte, weil ihm genau diese Inhalte wichtig sind. Die Frage ist dann aber nur, wir geht man mit Leuten um, die explizit sexuelle Ausbeutung, Objektifizierung und Demütigung als stärkere Partei in einem Computerspiel erleben wollen?

Wie siehst Du diese Thematik? Findest Du den Umgang mit Rollenbildern in Spielen wie Hitman oder GTA unproblematisch? Hast Du Beispiele, wo in Computerspielen differenzierter mit der Thematik umgegangen wird?

Kommentare
Ma
Marshal schrieb am 03.02.2019:
Hallo.
Ich kenne weder die Dame auf die du dich beziehst lieber Rumpel, noch kenne ich ihren Gegenspieler, daher kann ich nur auf deine letzten Frage antworten.

Ich bin da wohl eher anderer Meinung als Du und Frau Sarkesian es sind.
Zuerst einmal, ist ein Videospiel eine Art von Kunst. Genau so Aktmalerei, Horrorfilme, Tanz und vieles Weitere.
Bei Horrorfilmen werden Menschen oft regelrecht abgeschlachtet (egal ob Mann oder Frau) das bedeutet ja aber nicht, das der Drehbuchautor oder Regisseur ein verrückter Irrer ist, der sehr gerne auf die Straße gehen würde um Menschen umzubringen.
Beim Lateintanz also die ganzen südamerikanischen Tänze, erden die Frauen von den Männern geführt, und quasi dem Publikum präsentiert, ist das auch schon eine leichte Art der Ausbeutung? Sexismus? Oder eine leicht erotische Choreographie? Vielleicht ein bisschen was von allem?
Aktmalerei....Schmutz oder Kunst?
Ich muss gestehen, das ich mich diesen Fragen noch nicht wirklich gestellt habe.
Genau sowenig wie dem Ausbeuten von Frauen in Videospielen.
Vielleicht ist es die Vision des Künstlers (Gamedesigner u.s.w.) das genau diese Szene an genau der Stelle mit genau den virtuellen Menschen da rein soll. Vielleicht wollen die Entwickler ja auch eine kontroverse Diskussion hervorrufen oder einfach, das wir als Spieler uns unwohl in unserer Haut fühlen. Vielleicht wollen sie aber auch einfach nacktes Fleisch der zumeist männlichen Käuferschaft präsentieren, denn jeder weiß, "Sex sells". Ich maße mir nicht an zu wissen, was die Beweggründe sind.
Aber ich würde es einfach schlecht finden, wenn wir den Entwicklern vorschreiben, wie sie was am besten machen sollen, dann können wir unsere Spiele auch selber programmieren (was du natürlich kannst lieber Rumpel :)).
Ich frage mich aber, wie viele und wer würde sich beschweren, wenn es nackte Männer wären welche da ausgebeutet und menschen unwürdig gezeugt werden? Nehmen wir das überhaupt wahr oder ist das einfach normal...sind ja nur Männer? Ich weiß es nicht, habe da ehrlich gesagt nie wirklich drauf geachtet.

Zum Schluss, möchte ich sagen, das die Gleichberechtigung der Frau etwas gutes ist, auf jeden Fall und unmissverständlich!!!
Doch...mir geht es ehrlich gesagt auch ein wenig auf den Keks, das alles auf die Goldwaage gelegt wird. Bald darf man gar nichts mehr sagen, aus angst irgendein/e Kultur, Geschlecht, Religion oder sonst was unwissentlich zu beleidigen.

Ich hoffe niemand nimmt mir meine Meinung übel.
Sg
SgtRumpel antwortete am 03.02.2019:
Das gute an diesem Blog ist, dass hier diskutiert werden darf! Also nehme ich Deine Meinung auf keinen Fall übel! :)

Zu Deinen Punkten:
Stell Dir einen Film vor, in dem der Hauptcharakter rassistisch handelt und der Film das positiv darstellt. Legal und wahrscheinlich auch für Dich privat würde das ein Problem darstellen. Es gibt also durchaus Grenzen für das, was Kunst und Unterhaltung darf oder nicht darf. Die Frage ist, wo man diese Grenze setzt und mit welcher Begründung.
Wie im Artikel erwähnt, spielt die Inszenierung und damit die Haltung, die ein Spieler dazu wahrnimmt, eine große Rolle. Etwas moralisch Verwerfliches zu zeigen kann ok sein, wenn man zum Beispiel auch die Konsequenz aus dem Handeln zeigt.

Das Problem bei Objektifizierung von Frauen in Computerspielen ist, dass es so unmerklich passiert, nebenher, sodass man es schnell akzeptiert, weil es sich nach Unterhaltung anfühlt. Würden die Spielemacher aber die ganze Konsequenz aus diesem Teufelskreis zeigen, würde dieses Gefühl der Unterhaltung schnell verschwinden.

Übrigens gibt es diese Überlegungen auch bei Gewaltdarstellungen. Das Amokspiel "Hatred" ist ein Beispiel dafür, wie in diesem Bereich Grenzen überschritten wurden, die dann zu einer öffentlichen Kontroverse geführt hat – für meine Begriffe zurecht!

Und: Aktmalerei ist eindeutig kein Schmutz :D Und eine erotische Choreographie ist Flirten auf Augenhöhe und hat nichts mit sexueller Ausbeutung zu tun.

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Al
Alex schrieb am 03.02.2019:
Stimme meinem Vorredner Marshal voll zu.
Manchmal sollte man Spiele auch einfach Spiele sein lassen. Spiele und Kunst im Allgemeinen haben keine gesellschaftliche oder moralische Verantwortung. Natürlich können sie die haben, aber in einem GTA stehen ganz andere Dinge im Vordergrund. Ich als Spieler will in einem GTA nicht unbedingt mit der hässlichen Realität konfrontiert werden. Sobald in einem Videospiel echtes Leid gezeigt wird (siehe The Last Of Us), ruft das im Spielenden Emotionen hervor die Rockstar eben vermeiden will.
Sg
SgtRumpel antwortete am 03.02.2019:
Die gleiche Argumentation könntest Du auch verwenden, um Rassismus, Kinderpornographie (digital) oder ähnliches in Computerspielen zeigen zu dürfen.

Natürlich haben Spiele (und übrigens auch Kunst) eine moralische und gesellschaftliche Verantwortung! Spiele wie Tetris oder Pacman sind ausgenommen, weil sie keine gesellschaftlich relevanten Themen ansprechen und damit auch keine Stellung beziehen.

Ein Spiel wie GTA jedoch nimmt sich einem ganzen Dutzend solcher Themen an und damit wird es gesellschaftlich relevant. Pop-Kultur hat einen direkten Einfluss auf unser Leben, unsere Werte und Ansichten und muss dementsprechend auch in die Kritik genommen werden. Ist übrigens bei Musik (siehe Echo-Verleihung) genauso.
Ji
Jigelp antwortete am 11.06.2019:
Wenn ich mich recht erinnere, gibt es in GTA V eine Mission, in der man verhindert, dass Michaels Tochter ins Pornobusiness einsteigt. Ziemlich rabiat mit der Bleispritze.
Der gleiche Michael kann aber in den Puff gehen oder jemanden ins Auto nehmen.
Ich fürchte, das ist einfach nur Fanservice und auf eine kritische Betrachtung kann man lange warten. Die Folterszene ist dann auch nur der kalkulierte Skandal für Aufmerksamkeit.
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Ch
Churill schrieb am 03.02.2019:
Wieder ein sehr guter Artikel. Ich finde den Titel der historischen Korrektheit etwas irreführend, wahrscheinlich wegen meiner Erwartungshaltung an den Begriff "historisch".
Wie dem auch sei. Ich finde das Thema sehr wichtig. Und das betrifft ja bei weitem nicht nur den Bereich der Computerspiele und auch nicht nur das Thema der Sexualität. Zum ersten: ich finde es furchtbar, wir jeder Film und jeder Serie heutzutage eine oder mehrere Sexszenen beinhaltet. Wozu? Die Darstellung des geschlechtlichen Verkehrs ist für die Geschichte selten wichtig oder sinnvoll. Warum bleibt es hier nicht bei einer Andeutung? Warum muss etwas so privates wie Sexualität so öffentlich dargestellt werden? Ich finde, dass es diese Art von Fanservice überall gibt und ich halte das für eine negative Entwicklung.
Zum zweiten: in Computerspielen werden meist nur die "guten" Seiten eines Themas beleuchtet. Wenn man einen Menschenhändlerring hochnimmt, "muss" man vorher eben eine Fleischschau veranstalten und das verursachte Leid wird ausgeblendet. Wenn es um Krieg geht ist man fast immer der Held, der alle anderen umballert - weil alle anderen ja böse sind. Selten stellt ein Spiel die wahre Bedeutung von Krieg dar - Hunger, Leid, Flucht, Tod und selten gibt es im Krieg irgendeine gute Seite. Aber das nur als Nebenbemerkung. Das Spiel muss natürlich auch Spaß machen, aber Frauen - gerade als Opfer von Menschenhandel - als Schauobjekte ist jenseits von Spaß, das halte ich für Missbrauch und unmoralisch.

Videospiele die differenziert mit dem Thema Sexualität umgehen habe ich noch nicht gespielt, allerdings spiele ich auch fast nur Strategiespiele. Beim Thema Krieg, wie vorhin angesprochen, finde ich Spec Ops: The Line oder This War of Mine sehr gut. Spec Ops fand ich einfach gut, weil man eben nicht der Über-Held war, der alles umhaut, sondern irgendwie auch Kriegsverbrecher, Psychopath und Kriegstreiber. Und ich liebe solche Spiele (wenn ich Mal keine Strategie spiele :p)

Das waren meine Gedanken dazu, schön, die Tür äußern zu können. Ich wünsche noch einen guten Abend. :)
Sg
SgtRumpel antwortete am 03.02.2019:
Tatsächlich muss ich, wenn ich darüber nachdenke, auch schwer suchen, um ein Spiel zu finden, das wirklich gut mit solchen schweren Themen umgeht. Auch wenn Spec-Ops diese Momente hatte, in denen man die eigenen Aktion in Frage stellt, war es mir immer noch zu wenig – aber verglichen mit allen anderen natürlich schon einen Schritt weiter.
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Te
TetsuFierro schrieb am 03.02.2019:
Ein sehr guter Artikel den ich so auch unterschreibe. Wo man in meinen Augen dieses Lesen abhängig des eigenen sozialgesellschaftlichen Hintergrundes sehen kann ist bei den Galliern. Die meißten Berichte stammen von den Römern, die die gallischen Männer als homosexuelle Macker beschreiben, die viel Sex miteinander haben, wo die mutigsten nackt kämpfen und ihren Helm laut einigen Quellen mit Teilen toter Tiere schmücken. Die Frauen hingegen sollen absolut wertlos und untergeordnet sein. Die Römer selbst hielten sich jedoch für über alles zivilisiert und eine Frau war in ihrer Gesellschaft selbst nichts wert. Bei den Galliern hingegen legen die wenigen gallischen Beschreibungen jedoch nahe, dass es zwar eine gewisse Geschlechtertrennung gab. Die rührte jedoch wohl daher, dass die Frauen die Judikative in den Stämmen waren und Heim und Herd, im wahrsten Sinne des Wortes, "gehütet" haben. Darauf weisen die gallische Geschichte der Frau, die ihren Vergewaltiger zur Strafe köpft und den Kopf aufbewahrt (Gallier behielten wohl konservierte Köpfe zum Protzen) als auch der Hinweis Plinius d.Ä. an Legionäre bloß nicht einen Gallier zu beleidigen, wenn seine Frau in hörweite ist. =D
Zudem waren Schlachten ein Familienspektakel, an denen nicht nur die Männer teilnahmen.
Und jetzt möchte ich alle, die das hier lesen fragen, in welchem Spiel/Film/Comic/Buch habt ihr jemals eine solche Darstellung gesehen? Noch nicht ein mal Asterix ist, zumindest in kinderfreundlicher Manier, diesen Weg gegangen. (Okay Asterix Flügel von der Zigarettenpackung vielleicht.)

Und ich glaube so verhält es sich auch mit der gewählten Inszenierung, wie Rumpel sie angesprochen hat. Man stellt Dinge dar, aus einer künstlerischen Freiheit heraus. Sobald man aber etwas dargestellt hat, sagt man aber auch etwas aus. Und bei der schon angesprochenen Watch Dogs Szene ist es das begaffen der vorgeführten Frauen. Man hätte ja auch die Begaffer voyeuren können. Ich meine, man kann sogar alles hacken.

Ein Beispiel das sehr gut davon zeugt, wie man damit umgeht ist Saints Row. Sarkeesian hat an Saints Row III kritisiert, dass man Frauen in übersexualisierter SM-Tracht ermordet und das ein typisch mysogenes Bild zeichnet. Der Projektleiter von Saints Row hat dem zugestimmt, gelobte Besserung und dann durfte man in Saints Row IV im SM-DLC Männer und Frauen in SM-Tracht vermöbeln. Problem gelöst. Überhaupt zeigt Saints Row IV sehr gut, wie man herben Humor fabriziert ohne jemanden zu diskreminieren. Zwar gibt es auch hier Kritikpunkte (ich persönlich finde es z.B. lächerlich bei der Charaktererstellung nur weiß, latino, schwarz oder asiatisch wählen zu können. Arabisch? Native American? Indisch/Pakistani? Roma/Sinti? Aboriginal? Maoi? Wasteland 2 erlaubte da mehr, musste aber auch Grafisch nicht so viel leisten.) doch es geht doch ganz offensichtlich.
Sg
SgtRumpel antwortete am 03.02.2019:
SaintsRow ist auch ein gutes Beispiel für die Wichtigkeit des Kontextes. EIn satirisches Spiel, das in allen Belangen über die Stränge schlägt kann sich mehr herausnehmen als eines, das wie GTA zum Beispiel doch sehr deutlich einem Gangster-Image nacheifert, wie es in der amerikanischen Subkultur zum Kult geworden ist.

Noch besser ist es natürlich, dass die Macher von SaintsRow auch auf geäußerte Kritik eingehen! :D
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Je
Jerina Lande schrieb am 05.02.2019:
Guter- und wichtiger!- Beitrag.
Was die Reaktionen der Spielerschaft betrifft, hast du den Nagel mit dem letzten Absatz auf den Kopf getroffen.

Das Erfolgserlebnis, welches man bei erfolgreichem Durchspielen solcher Missionen erfahren hat, wird durch die von dir dargelegten Punkte im Nachhinein geschmälert. Das gefällt natürlich nicht jedem und entsprechend stark fallen die Reaktionen aus. Teilweise kann ich das sogar nachvollziehen. Immerhin möchte man beim Zocken oft einfach abschalten und sich am allerwenigsten über die politisch korrekte Umsetzung einer Szene Gedanken machen. Allerdings frage ich mich, was so schwer daran ist, nach dargebrachten Denkanstößen locker zu bleiben und zu sagen: "Okay, aus der Sicht hab ich das noch gar nicht betrachtet. Stimmt, hätte man anders machen können." Zack, fertig.

Ich habe mich- die Problematik betreffend- schon seit Längerem gefragt, bei wem die meiste Verantwortung zu suchen ist.
Und auch, wenn Konsumenten den Dingen, die sie konsumieren, nicht ganz unkritisch gegenüberstehen sollten, sehe ich die größte Verantwortung eindeutig bei den Entwicklern der Spiele. Sie genießen nicht nur die Freiheit, eine Szene von grundauf zu gestalten. Sie haben sogar die Wahl, welche Szenen sie überhaupt integrieren!
Da finde ich es sehr bedenklich, wenn man ein Thema wie Menschenhandel als Mission auswählt, doch eine vollkommene Darstellung des Schreckens und Leidens der Opfer dadurch abschwächt, dass der Spieler an den nackten Frauen vorbeistolzieren und fröhlich mitglotzen darf.
Ich persönlich habe nichts gegen Spiele wie Dead Or Alive Xtreme, da die Fleischbeschau unmittelbar im Vordergrund steht und somit offensichtlich ist.
Aber bei der Darstellung ungemütlicher Themen erwarte ich, dass der Entwickler den (echten!) Opfern gerecht wird und mit einer gewissen Feinfühligkeit an die Umsetzung herangeht.
Ansonsten muss er sich nicht wundern, mit entsprechenden Anschuldigungen konfrontiert zu werden.
Die Ironie bei bspw. Watch Dogs ist dann, dass man die Ausbeutung von Frauen zeigt und sie durch die gewählte Darstellung zu seinen eigenen Gunsten selbst ausnutzt. :-)
Sg
SgtRumpel antwortete am 27.02.2019:
Da bin ich vollkommen bei Dir! Verantwortung ist unbedingt etwas, das bei den Entwicklern zu suchen ist. Die Reaktion der Spieler bzw Konsumenten kann da nur ein Hinweis mit dem Zaunpfahl sein, aber dann ist meistens das Kind eh schon in den Brunnen gefallen. Nur selten wird ja ein Spiel in Sachen Missionsdesign oder Story im Nachhinein geändert...
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Si
Simi schrieb am 14.10.2019:
Ein sehr schöner und wichtiger Artikel! Ich hatte ihn vor einigen Monaten schon einmal gelesen und da mich das Thema immer wieder beschäftigt, möchte ich ihn nun auch kommentieren.

Für mich – als Frau – ist es sehr schwierig, mich zu diesem Thema zu äußern. Wenn man die, teilweise sehr problematische, Darstellung von Frauen in Videospielen kritisiert, wird man sofort in die Ecke gestellt, dass man prüde ist oder anderen den Spaß verderben möchte. Dieses Argument – sofern man es als solches bezeichnen möchte – geht aber an der Kritik vorbei. Mehr noch. Es bestätigt sogar, dass tatsächlich ein Problem besteht.
Prostitution zu thematisieren oder sogar zu ermöglichen, ohne die hässliche Seite zu zeigen, ist keine Realität, sondern Realitätsverzerrung. Nun kann man natürlich sagen, im Sinne der Unterhaltung sei das doch in Ordnung, aber das Ganze ist eigentlich nur die Spitze des Eisberges. Die Erwartungshaltung, die manche männliche Spieler an die Darstellung von Frauen stellen, nimmt mittlerweile oft abstruse Züge an. Ein recht aktuelles Beispiel ist Outer Worlds. Unabhängig von der etwas älteren Grafik sind die weiblichen Charaktere, die man bisher gesehen hat, normale Frauen. Keine Supermodels, keine aufgetakelten Hühner. Einfach Frauen. Das hat bereits für eine gewisse Empörung gesorgt, doch als Obsidian Entertainment dann ein Bild auf Twitter gepostet hat, das ihre weiblichen Entwickler zeigt, ist die Sache regelrecht eskaliert. Sofort kam es zu sexistischen, bösartigen Beschimpfungen und sofort wurde behauptet, das wäre der Grund, warum die weiblichen NPCs in Outer Worlds nun einmal aussehen wie sie aussehnen.

Mir ist natürlich bewusst, dass das kein alleiniges Problem der Videospiel-Branche ist, sondern ein gesellschaftliches, dennoch (oder vielleicht gerade deswegen) muss es thematisiert werden.
Es hat nichts mit übertriebenen Feminismus zu tun – auch wenn es gern so ausgelegt wird – wenn man kritisiert, dass Frauen in vielen Videospielen zur reinen Fleischbeschau dienen oder als Lustobjekt reduziert werden. Ich würde mir wirklich eine differenziertere und ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Thema wünschen. Es geht ja nicht darum, keine schönen Körper mehr zu zeigen, sondern die Inszenierungen zu überdenken. Hier sehe ich die Entwickler in der Verantwortung.

Die ganze Thematik unter dem Deckmantel der Realität zu verstecken, ist genauso unglaubwürdig wie unter dem Deckmantel der Kunst. Denn man darf nicht vergessen, dass die Kunst auch den Begriff der Pornografie kennt und die Übergänge fließend sind. Aber das ist natürlich eine Sache, die die Verfechter solcher Inhalte gern übersehen. Schließlich hört sich das Wort schmutzig an und als geneigter Gamer hat ja gern seine weiße Weste ... ;)
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...auf meinem Blog. Hier schreibe ich über mein kreatives Schaffen, philosophiere über das Leben und rege mich gelegentlich auch über gesellschaftliche Zustände auf.
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